Die Rckkehr der Ex-Geliebten - Und, mgen die Bochumer 11FREUNDE
Ein ehemaliger Spieler des VfL Bochum hat mir einmal mit einem Augenzwinkern das Phänomen des Trainers Peter Neururer erklärt: „Der holt dich zu sich und erzählt dir eine halbe Stunde lang, was für ein überragender Fußballer du bist. Stärken ohne Ende hättest du. Wenn das so weiter geht, und er wüsste bei bestem Willen keinen Grund, warum nicht, sei die Nationalmannschaft nur noch eine Frage von Stunden, maximal Tagen. Du gehst von ihm weg und glaubst tatsächlich, dass du einer der ganz Großen bist – im deutschen Fußball ohnehin und eigentlich auch im Weltfußball. In dem Bewusstsein spielst du dann in den kommenden Wochen. Bis zum dem Tag, an dem du dich zu wundern beginnst, warum eigentlich noch nicht Real Madrid oder wenigstens der FC Barcelona bei dir angerufen hat. Ab diesem Moment fängst du an nachzudenken. Stimmt das eigentlich, was der Coach da über dich gesagt hat? Bist du wirklich so ein überragender Fußballer? Und kaum, dass du dich versiehst, zweifelst du unbewusst an den Worten deines Trainers. Und irgendwann ist es dann vorbei!“
„Ich fahre alleine nach Cottbus und hau die weg!“
Als Peter Neururer vor knapp anderthalb Wochen „nach Hause“ zurückkehrte, zu „seinem“ VfL Bochum, entfachte er eine lang nicht gekannte Euphorie rund ums Bochumer Ruhrstadion – allein durch seine bloße Anwesenheit! Beim Rundgang durch die Geschäftstelle, so wird berichtet, hatte der neue, alte Trainer des VfL Tränen in den Augen. Die Mitarbeiter auch. Vor allem aber ging ein Ruck durch den Verein. Ein Angestellter des Klubs schrieb kurz nach der Begegnung mit Neururer und vor der ersten Partie des neuen Übungsleiters bei Energie Cottbus eine SMS an seine Freunde: „Ich bin total heiß. Wenn es sein muss, fahre ich alleine nach Cottbus und hau die weg!“
Peter, der Motivator, der Menschenbeschwörer war wieder da, wo er immer hinwollte: Zurück auf die Bühne Bundesliga. Auch wenn die Bretter, die die Welt bedeuten, in Bochum im Moment etwas morscher sind, als es ihm selbst Recht ist, hat er es all seinen Kritikern und den Menschen, die nicht mehr an ihn geglaubt haben, in dem Moment seiner Rückkehr gezeigt: Peter Neururer, der Bundesliga-Trainer, wird noch gebraucht!
Wenn ich ehrlich bin, habe ich lange Zeit selbst nicht mehr recht daran geglaubt, dass Peter Neururer noch einmal als Übungsleiter einer Fußballmannschaft aktiv wird. In Gesprächen mit sogenannten Fachleuten, Journalisten wie Vereinsoffiziellen, waren sich alle immer schnell einig, dass die Zeit von Neururer wohl vorbei wäre. „Der ist jetzt TV-Entertainer. Den nimmt doch keiner mehr auf dem Platz ernst“, raunte man sich hinter vorgehaltener Hand zu. Offen, direkt ins Gesicht gesagt, hat es Neururer allerdings niemand. Ich gebe zu: Ich auch nicht! Bis zu diesem besonderen Tag im Spätsommer des letzten Jahres.
Als ich ihn damals traf, hatte er nur knapp zwei Monate zuvor einen Herzinfarkt erlitten. Ich weiß noch, wie überrascht ich war, wie fit er wirkte. Eigentlich war alles wie immer. Peter lächelte, redete, war freundlich und fröhlich – doch irgendetwas war anders.
Neururer analysierte knallhart die Lage
Nachdem wir unsere Arbeit an diesem Morgen beendet hatten, unterhielten wir uns noch lange über „unseren“ VfL Bochum. Das hatten wir in den letzten Jahren häufiger gemacht, doch zumeist hatte ich den Eindruck gehabt, Peter würde, wie er es so vorzüglich kann, etwas um den heißen Brei herumlabern. Nun stand ein Mann vor mir, der knallhart die missliche Lage unseres Klubs analysierte und dabei vor allem sehr, sehr ehrlich war. Am Ende des Gesprächs machte ich etwas, das man eigentlich nicht tun sollte: Ich gestand ihm offen, dass ich in den zurückliegenden Jahren nicht mehr wirklich an ihn als Trainer geglaubt hatte, nun aber, ich wüsste selbst nicht genau warum, felsenfest davon überzeugt sei, dass er bald wieder an der Außenlinie eines Klubs stehen würde. Und wenn es unser Verein wäre, fände ich das klasse. Ab sofort, sagte ich ihm in einem eigenartigen Moment der Euphorie, würde ich offen für ihn werben. Und das tat ich in den folgenden Monaten tatsächlich.
Zwischendurch traf ich Peter Neururer immer wieder bei verschiedenen Anlässen und war stets aufs Neue erstaunt, mit welchem Herzblut er die Entwicklung des VfL Bochum verfolgte. Seine große Sorge um den Verein, so empfand ich es, war echt. Während ich oftmals in einem Anflug von Lethargie noch nicht einmal die kommenden Gegner parat hatte, ratterte der arbeitslose Ex-Trainer meines Lieblingsklubs die folgenden Spielpaarungen aus dem Kopf herunter und rechnete zudem die möglichen Punktgewinne gegen den Abstieg aus. Ich hätte mich in diesen Augenblicken in der Gegenwart eines blau-weißen Kuttenträgers nicht besser aufgehoben gefühlt als bei Peter Neururer.
Die Zeit verstrich, Neitzel beerbte Bergmann und der Klub taumelte immer weiter dem Abgrund entgegen. In den zurückliegenden Monaten hatte ich versucht, den überschaubaren Einfluss, den man in einer so kleinen Stadt wie Bochum hat, ein wenig spielen zu lassen. Mal in direkten Gesprächen, mal in vermeintlich lustigen Facebook-Einträgen. Doch langsam musste ich einsehen, dass ich mit meinem Werben für den Trainer Peter Neururer keinerlei Erfolg haben würde. Das sagte ich ihm bei unserem letzten Treffen an einem kalten Frühlingsabend auch. Er schien zu diesem Zeitpunkt selbst nicht mehr ernsthaft damit zu rechnen, noch einmal auf den Trainerstuhl des VfL zurückzukehren. Zu viele, hier und da wohl auch einige persönliche Gründe standen offensichtlich im Wege.
Wie die Rückkehr einer ehemaligen Geliebten
Aber: So ist Fußball! Nur wenige Wochen später heißt der neue Übungsleiter des VfL Bochum überraschend Peter Neururer. Nicht wenige haben die Entscheidung als letzte Patrone des Vereins im Abstiegskampf bezeichnet. Für viele war es ein bitterer Gang nach Canossa. Ausgerechnet Peter Neururer soll nun also die allerletzte Chance des Klubs vor dem Untergang sein. Ein größeres Eingeständnis des Versagens kann es im Grunde nicht geben.
Und doch war es die einzige, vollkommen richtige Entscheidung. In dieser nie da gewesenen, äußerst prekären Lage kann nur jemand helfen, der den Klub, das Umfeld und seine Fans bereits kennt. Es ist wie die Rückkehr einer ehemaligen Geliebten, die nie ein Hehl daraus gemacht hat, dass man selbst eine der ganz großen Lieben ihres Lebens gewesen ist. Man hat viele schöne gemeinsame Erinnerungen, weiß aber eigentlich noch ziemlich genau, warum es irgendwann nicht mehr funktionierte – auch wenn das im Moment etwas weiter im Hinterkopf versteckt ist. Und das ist gut so.
Endlich wieder Fußballzirkus!
In Bochum ist man in diesen Tagen stolz, endlich wieder eine Rolle im nationalen Fußballzirkus zu spielen. Man freut sich, wahrgenommen zu werden, Titelseiten zu füllen und im TV eine Meldung wert zu sein. Nach Nokia und Opel hat der VfL Bochum in den letzten Jahren den Menschen in der Stadt den letzten Rest an Selbstvertrauen genommen. Während für die großen Nachbarn links und rechts an jedem zweiten Wochenende riesige Autokolonnen aus allen Teilen der Republik anrollen, reisen die Anhänger des VfL mit dem Bus oder der Bahn zu den Heimspielen ins Ruhrstadion.
Fast alle Fans des Vereins kommen direkt aus Bochum. Und die Anhänger der Blau-Weißen sind seit dem Montag vergangener Woche allesamt Neururer-Jünger. Der Mann, der einst die Besucher der Ostkurve so sehr polarisierte, dass sie sich gegenseitig aufs Maul hauten, brachte mit seiner Heimkehr den Glauben an die Castroper Straße zurück. Den Glauben an den Verein und an sich selbst. Wie lange dieses Gefühl anhalten wird, muss man abwarten. Die Offiziellen des VfL haben Neururer als „Feuerwehrmann“ vorgestellt. Im Moment ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aber noch grenzenlos. Real Madrid oder wenigstens der FC Barcelona werden sich noch umgucken. Schließlich heißt unser Trainer Peter Neururer!
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